„Wir brauchen mehr Frauen da draußen auf dem Wasser.”

Heute wollen wir euch Sabine Scholle vorstellen. Sabine ist 25 Jahre, kommt ursprünglich aus Südafrika und studiert in Osnabrück Cognitive Science. Das ist aber noch nicht alles: Sabine ist professionelle Skipperin und hat bereits Jahre auf den Meeren dieser Welt verbracht. Mit ihr haben wir darüber gesprochen, wie sie Skipperin geworden ist und welche Erfahrungen sie als Frau in diesem männlich dominierten Berufszweig gemacht hat. 

Hat ihren Weg von der Hostess zur Skipperin gemacht: Sabine Scholle. ©Sabine Scholle

Sabine, wie bist du zum Segeln gekommen? 

Als ich von der Schule kam, hatte ich überhaupt keinen Funken Ahnung vom Segeln. Ich wollte aber unbedingt raus aus Südafrika, um mich persönlich weiterzuentwickeln. Ich habe dann einen Flug nach Mallorca gebucht und ein paar Dutzend Lebensläufe ausgedruckt, die vor allem aus meinen Schulnoten bestanden, und dann in Palma die Docks abgelaufen, an jede Tür geklopft und bei den Crews gefragt, ob sie ein paar extra Hände gebrauchen können, egal für welchen Job. 

Warum wolltest du gerne auf einem Schiff arbeiten, wenn du keine Ahnung vom Segeln hattest, und nicht als was anderes?

Ich brauchte ein Abenteuer und wollte aus meiner Komfortzone raus. Ich musste Geld verdienen, wollte aber auch reisen und der Einstieg als Tagelöhner an Bord ist recht einfach. Von dort aus kann man sich dann hocharbeiten. Es hat mir einfach genau die Art zu leben ermöglicht, die ich brauchte, um flügge zu werden.

Wie ging es dann weiter?

Das war der Ratschlag, den man mir gegeben hat: `Wenn du ein Mädchen bist, wirst du Hostess, wenn du ein Junge bist, wirst du Deckshand und denk nicht zu viel darüber nach.´“Sabine Scholle
Ich habe eine Position als Hostess bekommen, weil ich ein Mädchen war. Das war der Ratschlag, den man mir gegeben hat. “Wenn du ein Mädchen bist, wirst du Hostess, wenn du ein Junge bist, wirst du Deckshand und denk nicht zu viel darüber nach.” Das war auf einer Motoryacht. Irgendwann hat sich dann die Gelegenheit geboten, einmal segeln zu gehen auf einem Schiff, auf dem gerade das Rigg geprüft wurde, und das war für mich ein lebensverändernder Moment. Wenn der Motor ausgeschaltet wird und du plötzlich das ganze Boot fühlst, nur angetrieben durch die Kraft des Windes, der die Segel füllt. Das war einfach magisch und das war auch der Zeitpunkt, an dem ich realisiert habe, dass ich wohl ein paar Kurse belegen muss. Ich war dann wild entschlossen und habe mich richtig reingehangen und so langsam meinen Weg von Motoryachten zu Segelyachten gemacht. Von einer Hostess wurde ich zur Deckshand und mit mehr Erfahrung an Deck, habe ich dann meine Kurse gemacht und die entsprechenden Lizenzen erworben und der Rest fügte sich dann so zusammen.

Du hattest dann also deine Lizenzen. Wie wurdest du professionelle Skipperin?

Das ist eben das Knifflige an der Sache, es ist ein bisschen wie Autofahren: Den Führerschein zu machen ist das eine, aber um das Auto sicher zu fahren braucht man Erfahrung. Der Erwerb meiner Lizenzen war nur der erste Schritt und dann habe ich auf vielen Schiffen als Deckshand gearbeitet. Wenn du das lange genug machst, wirst du irgendwann Steuermann bzw. Steuerfrau, dann kannst du vielleicht auch schonmal das Schiff überführen und bist dann für eine kurze Zeit alleine auf der Yacht ohne die Besitzer oder Gäste und Schritt für Schritt sammelst du so Seemeilen und übernimmst mehr und mehr Verantwortung.  

Wie lange hast du das gemacht?

Vollzeit für etwa vier Jahre und jetzt, wo ich studiere, mache ich Kurzcharter oder Überführungen in meinen Semesterferien. 

Wo bist du überall hingereist?

In Spanien ging es meistens los. Oft sind wir dann nach Malta gesegelt und von dort aus die Küste hoch nach Italien, rüber nach Frankreich und zurück. Es klingt romantisch, aber in der Realität sieht man oft nur viele Häfen. Aber man bekommt trotzdem einen wundervollen Eindruck von anderen Ländern und meistens hatte ich wirklich liebenswerte und entgegenkommende Besitzer oder Gäste, die sehr fair waren und zum Beispiel Nachmittage freigegeben haben. Auf manchen Yachten gibt man sein Leben auf und lebt nur für die Yacht. 

Ob entlang der karibischen Inseln, Spanien, Malta, Italien, Frankreich … Sabine Scholle war an vielen Länderküsten unterwegs. ©Sabine Scholle

Was gefällt dir so gut an dem Job?

Mit den Motoryachten habe ich den Bootssport in seiner luxuriösesten Form kennengelernt, das sind ja praktisch schwimmende Hotels. Nach drei Jahren auf verschiedensten Schiffen hatte ich dann sehr viel Glück und habe angefangen, die meiste Zeit auf einem Gunboat-Katamaran zu arbeiten, wo es einen wirklich aufregenden Regatta-Zeitplan gab. Die brauchten die ganze Zeit eine Crew, um die Logistik zu managen, also das Schiff von einer Insel zur nächsten zu bringen. Ich war mit diesem Schiff lange Zeit im Mittelmeer und in der Karibik unterwegs und in der Rennsaison sind wir einfach von Insel zu Insel gefahren. Auf diesem Gunboat zu arbeiten, diesem leistungsstarken Rennschiff, mit dem dieser offensichtlich unglaublich reiche Besitzer in keiner Weise das Ziel verfolgt, daraus ein Luxusboot zu machen, hat die ganze Perspektive verändert. Plötzlich war da Wertschätzung und Respekt für die Elemente und die Segelkunst und das war wirklich inspirierend. 

„Und das ist einfach bezeichnend für die ganze Industrie, diese männlich dominierte Sichtweise, dass eine Frau unter Deck gehört.“Sabine Scholle
Wir haben schon darüber gesprochen, professionelle Skipperinnen sind rar gesät, für Frauen ist der Job als Hostess vorgesehen. Kannst du uns noch mehr über deine diesbezüglichen Erfahrungen erzählen? 

Zu der Zeit als ich nach Spanien wollte, habe ich jemanden aus der Branche kontaktiert, um nach Rat zu fragen. Und derjenige sagte mir ganz unverblümt, der einzige Weg für mich einen Job zu bekommen wäre als Hostess. Ich hab auf ihn gehört, denn woher sollte ich es besser wissen, und das Ergebnis war, dass ich ziemlich viel Zeit und Geld in eine Hostessenschule investiert habe, in der ich gelernt habe, Bettlaken zu bügeln und Toilettenpapier hübsch zu falten. Ich kann mich erinnern, dass ich nach Entschuldigungen gesucht habe, um an den Klassenräumen der Deckshandschule vorbeizugehen und mir sehnlichst gewünscht habe, dort mitmachen zu können. Der Klassenraum war voller Segel und Seile und sie haben alle Segelknoten gelernt und wie man den Rumpf repariert, wenn er beschädigt ist. Ziemlich coole Sachen, die sehr nützlich gewesen wären, als ich auf einer 21 Meter langen Swan nahe der Küste von Bermuda war und der Ruderschaft sich löste und das komplette GFK zerstörte. Wir mussten eine Notfallreparatur machen, um zu verhindern, dass Wasser hereinströmt und uns dann durch einen Sturm zurück nach Bermuda retten, das ungefähr 100 Seemeilen entfernt war. Was uns nicht geholfen hat, sicher zurück zum Hafen zu kommen? Mein tiefes Wissen über Handtuchfalttechniken. 

Und das ist einfach bezeichnend für die ganze Industrie, diese männlich dominierte Sichtweise, dass eine Frau unter Deck gehört. Und das ändert sich gerade radikal, daher danke an alle Frauen an Deck, die diesen Wandel vorantreiben, danke an die Profiseglerinnen wie Sam Davies oder Pip Hare, das sind absolute Vorbilder. Wenn wir als Frauen die Möglichkeit haben, frei zu wählen, ohne so hart für unseren Wunsch kämpfen zu müssen, dann wäre schon viel erreicht. Und wenn wir Frauen wie Pip Hare haben, die an der Vendée Globe teilnehmen, die wir uns als Vorbilder nehmen können, wird einfach klar, dass dieser Weg eine Möglichkeit ist. 

Was unterscheidet den Joballtag einer Skipperin von dem eines Skippers?

Es gibt ja wenige Frauen an Deck und noch viel weniger hinter dem Ruder und das bedeutet, wenn du eine bist, sind alle Augen auf dich gerichtet und du musst nicht nur unter Beweis stellen, dass du fähig bist, den Job zu machen, du musst überperformen und dich jeden Tag und jeden Moment unter Beweis stellen. Dabei muss man ständig gegen Vorurteile und sexistische Kommentare ankämpfen. Der professionelle Segelsport erfordert auch viel physische Kraft und ich musste viel stärker über meine Grenzen hinausgehen als mein männliches Gegenüber. Dennoch sieht man glücklicherweise immer mehr Frauen an Deck, wenn auch nicht Skipperinnen, denn es ist beeindruckend, welche Fähigkeiten und Werte ein weibliches Crewmitglied zum Team beisteuert. 

Inwiefern?

Ich denke, der Grund dafür könnte sein, dass weibliche Crewmitglieder soviel Zeit investieren, Dinge doppelt zu überprüfen oder dass sie erst 120 Prozent sicher sind, bevor sie was sagen. Wenn wir dann etwas sagen oder eine Entscheidung treffen, zum Beispiel bezüglich einer Kursänderung, dann hat das Substanz. Da steckt eine Menge Kompetenz dahinter. Ein kompetentes weibliches Crewmitglied ist ihr Gewicht in Gold wert.

Mit einer Frau im Team gibt es auch viel weniger Übereifer. Da besteht eine gewisse Wärme, es geht mehr ums Team, als um die Hierarchie. Eine Frau kann ein Team zusammenbringen. Natürlich kann man das nicht komplett verallgemeinern, weibliche Skipper sind nicht alle gleich und männliche Skipper sind nicht alle gleich, aber ich finde, dass es auf Schiffen mit einem hohen Frauenanteil im Team oder einer Skipperin deutlich weniger männliches Dominanzgehabe gibt.

Findet sich in ganz unterschiedlichen Schiffen zurecht, ob als Skipperin für Urlauber oder bei Schiffsüberführungen. ©Sabine Scholle

Hat man als Skipperin oder Frau an Deck überhaupt die Chance, sich ein Arbeitsumfeld zu suchen, in dem man weniger oder gar keiner Diskriminierung ausgesetzt ist?

Diskriminierung ist eigentlich mehr oder weniger immer präsent, es ist nur manchmal weniger offensichtlich. Sogar als ich auf dem Gunboat gearbeitet habe: Wenn jemand beim Kochen einspringen musste oder beim Putzen fiel die Wahl immer auf mich. Es reicht einfach nicht, genauso gut wie ein männliches Crewmitglied in gleicher Position zu sein, man muss viel besser sein. 

Wie bist du mit dieser Diskriminierung umgegangen? Was war deine Strategie?

Ich habe Diskriminierung oder sexistische Kommentare als Ansporn genutzt. Das hat mich noch mehr motiviert, denjenigen zu beweisen, dass sie falsch liegen. Wenn du nicht einfach die Meinung von jemandem ändern kannst, ist der einzige Weg, Besonnenheit zu zeigen und für sich selbst zu denken: “Okay, du willst nicht mit mir als Skipperin in einer Crew sein. Aber am Ende werden wir sehen, wer obenauf ist.”

„Ein kompetentes weibliches Crewmitglied ist ihr Gewicht in Gold wert.“Sabine Scholle
Trotz all dieser Erfahrungen: Würdest du Frauen empfehlen, den Beruf einer Skipperin zu ergreifen?

Absolut. Wir brauchen mehr Frauen da draußen auf dem Wasser. Ich kann nur empfehlen, egal welchen Berufszweig ihr ergreifen wollt, tut es. Es muss noch viel getan werden, es ist nicht einfach, aber wenn ihr fürs Segeln brennt oder, wie in meinem Fall, das Segeln als eure Leidenschaft entdeckt und viel Energie investiert, liegt die Welt euch zu Füßen. Es ist ein so kraftvoller Sport, ihr seid oft mutterseelenallein auf dem Meer, fühlt euch klein angesichts der Elemente um euch herum, ihr müsst in Lösungen denken und immer drei Schritte weiter im Kopf sein, und es ist wirklich bereichernd, sich selbst physisch und mental immer weiter zu pushen an einem Ort, wo ihr oft so isoliert seid. Ich kann es wirklich nur empfehlen, aber ich möchte mich im Vorfeld entschuldigen für den Sexismus, den ihr möglicherweise erfahren werdet. Aber gleichzeitig sage ich euch: Lasst euch nicht unterkriegen und nutzt es als Motivation, weil ihr es verdient, da zu sein.

Welche Fähigkeiten oder Interessen sollte man mitbringen, wenn man den Beruf der Skipperin ergreifen will?

Man sollte vor allem die Fähigkeit haben, Dinge nicht persönlich zu nehmen, man braucht eine ziemlich dicke Haut. Man muss gleichzeitig empathisch sein, aber sich auch von seinen eigenen Gefühlen distanzieren können und darf Dinge nicht persönlich nehmen. Denn solche verletzten Gefühle werden oft schlimmer und schlimmer, je länger man auf dem Boot ist, und das führt dazu, dass man Fehler macht oder das Schiff mitten während einer Reise verlässt. 

Als Skipperin, wenn man Entscheidungen in Bezug auf das Segeln trifft, würde ich sagen, großer Respekt und ein weitreichendes Verständnis der natürlichen Elemente sind entscheidend.  

Liebe Sabine, wir danken dir herzlich für dieses Interview und deine Offenheit! 

 

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