Immerhin vier entspannte Segeltage hatte die Crew um unseren Kunden und Skipper Kai Elias bereits im Gebiet des Dodekanes verbracht, als sich ihr Törn in den Abendstunden des 13. September 2023 völlig anders als geplant entwickelte. Ursprünglich hatten die sechs Freunde vor, mit ihrer gecharterten Oceanis 45 in der Bucht Vathi auf der Insel Astypalea zu ankern. Aufgrund des starken Windes mit 20 bis 25 Knoten und zwei bis drei Meter hohen Wellen aus Nord-West entschlossen sie sich, stattdessen Port Astypalea auf der Südseite anzulaufen. Gegen 22.20 Uhr passierte es dann: „Es gab einen Knall. Ich war gerade unter Deck, hörte dann aber Kai rufen, dass er kein Ruder mehr hat”, erzählt uns Co-Skipper Peter Schnitker. „Wir haben dann natürlich sofort die Segel eingeholt, den Motor angeschmissen und den Rückwärtsgang eingelegt, aber schnell gemerkt, dass uns das nicht weiter bringt, da das Ruder sich quer stellte.” Mit der eilig installierten Notpinne ließ sich das Schiff nur bedingt kontrollieren. Da es Gefahr lief, auf die Küste getrieben zu werden, entschloss sich Peter Schnitker nach Rücksprache mit Kai Elias, einen Pan Pan abzusetzen.
Nur zwei Minuten später leitete die griechische Küstenwache Athen die Meldung an die Küstenfunkstation Kalymnos weiter, die dann kurz darauf mitteilte, dass das Ausflugsboot „Kallasopuli” unterwegs zu der Crew sei. Bis das Boot ankommen sollte, dauerte es allerdings noch fast zwei Stunden. „Nachdem wir erstmal erleichtert waren, dass uns so schnell geholfen wird, kam dann doch wieder Unruhe auf, wir wussten ja auch gar nicht: Was ist da jetzt eigentlich passiert? Dringt vielleicht Wasser irgendwo ein?”, berichtet Peter Schnitker. Nach einer kurzen Inspektion der Bilge war das zum Glück nicht der Fall und als die Kallasopuli endlich auftauchte, konnte das beschädigte Schiff dem Bergungsschiff sogar noch aus eigener Kraft in ruhigeres Gewässer folgen.
Wer übergibt die Schleppleine?
Dann ereignete sich allerdings ein entscheidender Moment: Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm die Crew das Schleppseil der Kallasopuli an. Moment einmal, war da nicht etwas? Richtig: Obwohl diese Handlung im heute noch geltenden „Internationalen Übereinkommen von 1989 über Bergung” (IÜB 1989) mit keinem Wort Erwähnung findet, galt das Akzeptieren einer fremden Schleppleine in früheren Seefahrerzeiten als Aufgabe des eigenen Schiffes. Weshalb, trotz fehlender Rechtsgrundlage, in Theoriestunden für den Segelschein häufig dazu geraten wird, im Falle einer Havarie die eigene Leine zu übergeben. Denn natürlich hat der Schlepper einen Anspruch auf Entlohnung für seine Dienste. Dazu erklärt unser Geschäftsführer Marvin Kather: „Indem man die eigene Leine übergibt, erhofft man sich, statt eines Bergelohns nur einen wesentlich geringeren Aufwendungsersatzanspruch zahlen zu müssen.”
Denn der Bergelohn kann es in sich haben. Er hängt von verschiedenen Faktoren ab, muss nach Artikel 13 IÜB 1989 jedoch so bemessen werden, dass „ein Anreiz für die Durchführung von Bergungsmaßnahmen” besteht. 10 bis 25 Prozent des Gesamtwertes des Schiffes sind keine Ausnahme, absolute Grenze stellt nach Gesetzesgrundlage der Wert des geretteten Vermögens dar.
Eine hohe Forderung
Womit wir zurück beim Fall unseres Kunden wären: Am Fährkai in Astypalea angekommen, wurde die Crew von der Küstenwache empfangen, die die Schiffsdokumente und auch das Logbuch umgehend konfiszierte. Ein Glück, dass die Crew so gewissenhaft ihr Logbuch geführt hatte. Das Schiff lag nun also erstmal an der Kette. Der Reparaturservice des Vercharterers setzte die Yacht bereits am folgenden Tag wieder instand. Ursache für die Havarie war lediglich eine gebrochene 5mm-Schraube des Radflansches am Steuerbord-Rad. Dadurch hatte sich das Rad so sehr geneigt, dass sich die Steuerkette löste, zudem war das Steuerseil vom Ruderkoker gesprungen. Nur einen Tag später durfte die Oceanis 45 wieder auslaufen und die Crew machte sich auf direktem Wege zum Check-out in der Heimatmarina auf der Insel Kos. Und tatsächlich erfuhren Kai Elias und seine Begleiter im Büro des Stützpunktleiters der vercharternden Firma, dass der Kapitän der Kallasopuli inzwischen 100.000 Euro Bergehonorar gefordert hatte. „Damit haben wir natürlich nicht gerechnet. Ich konnte aber nachvollziehen, dass der Kapitän erstmal mit den Ketten rasselt. Ich nehme aus beruflichen Gründen öfter mal an Gerichtsverfahren teil und weiß, dass häufig zunächst die Maximalforderung auf den Tisch kommt und am Ende einigt man sich deutlich darunter”, so Peter Schnitker.
Zwar bestehen die Bergelohnansprüche gegenüber dem Eigner, in diesem Fall dem Vercharterer. Jedoch hat dieser natürlich ein Interesse, sich das Geld bei der Crew zurückzuholen. Hierzu Marvin Kather: „Wir haben dann gemeinsam mit dem Kunden die nächsten Schritte besprochen. Dabei war zunächst wichtig zu wissen, dass Bergungsansprüche grundsätzlich Versicherungsschäden darstellen. Da Herr Schnitker eine Skipper-Haftpflicht-Versicherung abgeschlossen hatte, galt es herausfinden, ob die Versicherung den Vorfall als Haftpflicht- oder Kaskoschaden bewertet.” Die Versicherung stufte die Bergung als Kaskoschaden ein. „Das war in diesem Fall vorteilhaft, da ein Kaskoschaden über die hinterlegte Kautionssumme gedeckelt ist”, berichtet Kather weiter. Zwischenzeitlich hatte auch der Vercharterer sich mit dem Kapitän der Kallasopuli auf ein faires Bergehonorar von 8.000 Euro einigen können, sodass der Vorfall für alle Beteiligten glimpflich ausging. Einen letzten Tipp hat Kather aber noch: „Grundsätzlich empfehlen wir allen Kunden eine Kautionsversicherung. Diese beträgt in der Regel weniger als zehn Prozent der Kautionssumme und deckt das Einbehalten der Kaution im Schadensfall ab, egal ob berechtigt oder unberechtigt.” Und was sagt die Crew selbst? „Sollten wir nochmal in eine vergleichbare Situation geraten, rufen wir auf jeden Fall erstmal den Vercharterer an“, sagt Peter Schnitker. „Das steht, wie wir jetzt wissen, auch bei einigen Vercharterern in den AGB. Bei unserer Havarie im September hat es tatsächlich leider niemand von uns in Erwägung gezogen.”
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